Wiederaufbau Ahrtal

Kompetent. Sachlich. Zukunftsweisend.

Ein Jahr lang begleitete die BI „lebenswerte Stadt“ auf unterschiedliche Weise das Geschehen im Tal. Sie zieht Bilanz.

 

Dieses „Flutjahr“ steckt den Menschen im Ahrtal und anderenorts in den Knochen. Es traf viele existentiell. Die Verletzungen seelisch und materiell sind so verschieden, wie die Menschen unterschiedlich sind – aber niemanden haben die letzten 12 Monate unberührt gelassen. Dem trug die Bürgerinitiative aus der Kreisstadt Rechnung. Auch aus aus ihren Reihen waren viele Engagierte selbst stark betroffen. Doch lenkte die "lebenswerte Stadt" auch früh ihren Blick auf einen durchdachten und konzertierten Wiederaufbau. „Wenn wir neu gestalten und das Tal wieder herrichten, dann muss es gut sein,“ so die Macher, für die das Wort der heutigen Landrätin von der Modellregion einen besonderen Klang hat, „weil wir uns als Region, in der Tourismus eine entscheidende Rolle spielt, keinen mittelmäßigen und halbherzigen Wiederaufbau leisten können!“

In den ersten Wochen bereits, als für viele Fragen nach Baustilen und Gesamtkonzepten noch nicht im Blick waren, formulierte sie ein Positionspapier, das Prämissen zum Wiederaufbau durchbuchstabierte, und tat dies im engsten Schulterschluss und guter Abstimmung mit renommierten Institutionen, wie dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, und diversen Bundesverbänden. Das Positionspapier wurde in unterschiedliche Konferenzen auf unterschiedlichen Ebenen eingereicht und fand regen Widerhall. Auch Prominente wurden darauf aufmerksam und zeichneten, wie der Schauspieler und Tatort-Kommissar Jörg Hartmann.
 

Auszeiten für die eigenen Mitglieder bot ein regelmäßiger Stammtisch oberhalb des Tales bis in den tiefen Herbst hinein. Er ermöglichte Erholung und den so wichtigen Austausch. Ihm folgten einige weitere gesellige Treffen.

Fulminant für eine so kleine Bürgerinitiative sind auch ihre Wissenswerkstätten – sieben an der Zahl und jedes Mal mit Blick auf brandaktuelle Themen im Flutgebiet: die Ursachen der Katastrophe und ihre Folgen; Grundlagen beim Städtebau und was sie für das Tal bedeuten; die Stärken regionaler Baukultur – dokumentiert an vorbildlichen Umsetzungen anderenorts; das Einmaleins guten Tourismus und die Chancen für die Ahr; Denkmälern im Flutgebiet und was mit ihnen geschieht; ein Kaminabend mit Landratskandidaten – die einzige Wahlveranstaltung dieser Art im Kreis. Sieben Wissenswerkstätten mit kompetenten, hochkarätigen Referenten.
 

Wir bleiben am Ball!“ so das Leitungsteam der BI „lebenswerte Stadt“, das derzeit bereits den Herbst plant, einhellig und wir werden auch in Zukunft die Gestaltung des Tales kritisch-konstruktiv begleiten – denn dass das ganze Tal für Einheimische und Touristen lebenswert bleibt, das ist unser Ziel. 

Präambel

Das Ahrtal ist eine wertvolle, über Jahrhunderte entstandene Natur- und Kulturlandschaft.
Es zeichnet sich durch gewachsene, harmonische Orts- und Stadtbilder mit eindrucksvollem Denkmalbestand und wertvoller historischer Bausubstanz aus. Wegen seiner landschaftlichen und kulturellen Schönheiten, wegen der günstigen Lage, wegen der vorzüglichen Produkte – darunter der Wein – und aus manchen Gründen mehr ist das Ahrtal ein von seinen BewohnerInnen geliebter und bei seinen Gästen beliebter Lebensraum. Es ist Heimat und Raum für Verantwortung und Engagement.

Der Aufbauplan

1. Das Ahrtal als Modellregion
Ein durchdachter, durchkomponierter, nachhaltiger Wiederaufbau eines ganzen Tales, die den ökologischen, architektonisch-baukulturellen, historischen und – eben dadurch auch – wirtschaftlichen Kriterien standhält, sprich: der Aufbau einer Modellregion, stellt eine historisch einmalige Chance dar, auch für andere betroffene Landesteile und Bundesländer.

Dafür braucht es
- eine genau umrissene Definition der Region und ihrer Merkmale, aber auch einheitliche klare Visionen und Vorstellungen, statt „Kleinstaaterei“ und Kirchturmdenken,
- Mut und Entschlossenheit, sich völlig zum Anwalt dieses innovativen Unterfangens zu machen,
- ein Netzwerk aus Fachleuten und eine gute Einbindung der Bürger:innen und Bewohner:innen,
- ein starkes, entschlossenes Gremium, das die Absichten transparent und nachvollziehbar in die Öffentlichkeit trägt, diese „mitnimmt“ und einbindet.



Vor allem braucht es auch Zeit, um die Maßnahmen in einer sinnvollen Reihenfolge umzusetzen, um auf die Menschen und ihre unmittelbaren Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen und dabei das übergeordnete Ziel nicht aus dem Blick zu verlieren.



2. Erhaltung vor Abriss
Die vielgestaltige Geschichte des Ahrtales schenkte ihm historische Zeugnisse und Identität von hoher Qualität. Diese müssen in den Dörfern und in der Landschaft ablesbar bleiben.

- Es braucht eine zügige Erfassung der Schäden an historischer und kulturhistorisch wertvoller Bausubstanz, um zu klären, was vom Bestand noch gerettet werden kann.
- Das gilt nicht nur für ausgewiesene Denkmäler, sondern grundsätzlich für alle historisch überlieferten Bauwerke, die das Orts- und Landschaftsbild an der Ahr prägen.

- Der vorhandene Baubestand, insbesondere die Baudenkmäler, kann als Grundstock verstanden werden und Ideen für Neubauten geben.


3. Regionale Authentizität statt gesichtslose Beliebigkeit
Ein Landstrich, der wie das Ahrtal vom Tourismus lebt, muss gefallen. Neben subjektiven Aspekten gibt es funktionierende allgemeingültige Grundrezepte. Dazu gehören:

- Qualität der Architektur, der Stadtplanung, der Landschaftsplanung, bis in Details,
- gewachsene, kleinteilige Strukturen,
- Typisches, Regionales, Authentisches,
- geschichtliche Zeugnisse und Identität.

Daher plädieren die Unterzeichner für eine klare Definition verschiedener Wiederaufbauzonen unter touristisch-wirtschaftlichen Aspekten, die den Wiederaufbau strukturieren in:
- touristische Kernzonen,
- Zonen von mittlerer Eingriffstiefe
- und freie Zonen.

Die regionale Baukultur, die sich in geschichtlich gewachsenen und bewährten Haustypen, Bauformen und Materialien spiegelt, soll vermittelt und gefördert werden und auch Neugestaltungen inspirieren. Ziel ist ein harmonisches, gewachsenes Gesamtbild der Region, in dem Gegenwart und Vergangenheit ihren Raum haben.



4. Schärfung des Landschaftsbildes und der Landschaftsnutzung
Die Landschaft der Ahr ist einzigartig und vielseitig. Sie bildet ein spannendes Miteinander von wilder Natur und Kulturlandschaft. Deren Farben, Gerüche, Besonderheiten, das Typische, und das, was sie unverkennbar macht, muss auf behutsame Weise den Menschen erschlossen werden.



Zur Schärfung des Landschaftsbildes gehört auch eine Neustrukturierung der Landschaftsnutzung. Infrastruktur und Verkehrswege könnten neu angeordnet werden. Die Positionierung von Gewerbegebieten sollte überdacht werden. Sportstätten und Freizeiteinrichtungen können womöglich besser plaziert werden. Das sehr gute Wandernetz muss durch ein umfassendes Wegenetz für Fahrradtourismus ergänzt werden.


5. Wahrung der Umwelt
Fragen der Ressourcenschonung, der Nachhaltigkeit, des ökologischen Bauens u.a., basierend auf den Vorgaben für FFH-Gebiete und der Umweltauflagen der Gesetzgeber, erstellt nach aktualisiertem Hochwasserkataster und aufgrund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, sollen den Menschen als Grundlage der Neuplanung nahegebracht werden.
Dazu gehören auch Themen wie ökologischer Weinbau und die naturnahe Gestaltung von Parks und Gärten.

Gerade angesichts der Flutkatastrophe müssen auch alle Fragen rund um menschengemachte Gefahrenlagen thematisiert werden.
Einer neuen Raumordnung muss die Erstellung eines aktuellen Hochwasserkatasters vorausgehen.
- Eine Neuverteilung der Landnutzung im Ahrtal kann dabei helfen, für künftige Ereignisse besser gerüstet zu sein.
- Rückzugsflächen für das Wasser entlasten nicht nur das Flussbett, sondern stellen auch wertvolle Lebensräume für Flora und Fauna dar.
- Die Entsiegelung der Böden muss beherzt angegangen werden.
Gerade zu dieser Thematik verweisen wir auf das umfassende Fachwissen von Nabu und BUND.



6. Leitlinien
Alles in allem muss die Leitlinie für den Aufbau der Modellregion „Ahrtal“ höchste Qualität in allen Bereichen sein – vom einzelnen Gebäude, über die Gesamtkomposition der Ortsbilder bis hin zum Gesamtbild des wiedererstehenden Tales.
Qualitätvoll und nachhaltig müssen ökologische Aspekte im gesamten Tal umgesetzt werden. Der Umgang mit Natur muss neue zukunftsweisende Maßstäbe für das ganze Land und darüber hinaus setzen.



7. Klare Zuständigkeiten und kompetente Vermittler
Die erfolgte Einrichtung der Wiederaufbauorganisation unter der Leitung von Frau Staatsekretärin Steingass ist sehr zu begrüßen. Aufgrund der in dieser Wiederaufbauorganisation gebündelten Fachkompetenz kann sie in enger Kooperation mit den betroffenen Kommunen den Aufbau der unter Punkt 1 beschriebenen Modellregion konsequent vorwärtstreiben, dauerhaft verankern, koordinieren und realisieren. Sie sollte sich diese Modellregion als zentrale Agenda zu eigen machen. Sie könnte mit den Kommunen eine einheitliche Vorgehensweise und die Verwirklichung eines gemeinsamen Gesamtkonzepts gewährleisten.

- Die Wiederaufbauorganisation garantiert das Einhalten von Kriterien, die an die Vorgabe der Fluthilfegelder gekoppelt sind, entlastet die einzelnen Kommunen und gewährleistet eine einheitliche Vorgehensweise und die Verwirklichung eines einheitlichen Gesamtkonzepts.

- Sie kann die Menschen über die Sinnhaftigkeit von Richtlinien zugunsten der gesamten Region aufklären und den Blick auf das große Ganze weiten: Hier gilt es, eine Gratwanderung zwischen den Bedürfnissen des Einzelnen und dem Aufbau der Modellregion zu meistern.

- Sie kann einen Bürgerdialog und einen Prozess der Auseinandersetzung über die Zukunft des Ahrtals anstoßen, die alle Ebenen einbindet (Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur, Vereine, Initiativen oder einzelne Interessierte). 

 

Vieles wird dabei von einer kontinuierlichen, transparenten Kommunikation von Verwaltung und Politik mit der Wirtschaft, den Institutionen und den Bürgerinnen und Bürgern abhängen, aber auch mit einzelnen Personen wie auch denjenigen, die in den vielfältigen Vereinen und Initiativen zusammengeschlossen sind.

Erstunterzeichnende

(alphabetisch)
Die unterzeichnenden Organisationen, Initiativen und Institutionen sind regional und überregional, landes-, wie bundesweit tätig und ermutigen die Koordinator:innen des Aufbauprozesses zur Gestaltung der Modellregion „Ahrtal“ im oben beschriebenen Sinne. Darüber hinaus befassen sich aktuell weitere Verbänden und Gruppierungen mit dem Positionspapier, formulieren ihre Kriterien und Ansätze und werden es entsprechend ergänzen und zu einem späteren Zeitpunkt unterzeichnen.

 

 

 

Gruppierungen

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club, Landesverband Rheinland-Pfalz

Karl Josef Schumacher

Bürgerinitiative "lebenswerte Stadt"

Markus Hartmann

Deutsche Stiftung Denkmalschutz

Dr. Steffen Skudelny

Gemeinschaft zur Förderung regionaler Baukultur

Michael Stojan

Interessengemeinschaft Bauernhaus

Dr. Julia Ricker

Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz

Prof. Dr. Matthias Müller, Rolfjosef Hamacher

Sportbund Rheinland

Monika Sauer

Verband der Restauratoren

Gisela Gulbins

Verband Deutscher Kunsthistoriker

Prof. Dr. Kilian Heck, Dr. Martin Bredenbeck



Einzelunterzeichnende

Alfred Bremm, Dipl. Ingenieur, Architekt;

Jörg Hartmann, Schauspieler

 

nachrichtlich:

Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion RLP, Bereich Dorferneuerung

Denkmalrat Rheinland-Pfalz

Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

Direktion Landesarchäologie

Direktion Landesdenkmalpflege

 

Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord, RLP, Baukultur